Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist eine große Aufgabe beim Design von sowohl funktionstüchtiger wie akzeptierter Technik. In einer immer älter werdenden Gesellschaft haben die Silver Ager, also die Generation 50plus, mehr als die Hälfte der Kaufkraft. Wer seine Interfaces nicht auf die Anforderungen dieser Zielgruppe einstellt, hat für viele potenzielle User die falsche Experience - und so entgeht ein einträgliches Geschäft.
Was müssen Interfaces leisten?
Komplexitäts-Verhüllung
Design “verhüllt Komplexität” (Peter Sloterdijk), durch Design werden wir von der täglichen Kränkung verschont, nicht den Dunst einer Ahnung zu haben, was in einem Telefon vor sich geht: Gerade hat das Smartphone seinen Nutzer per Face-ID erkannt und schon führt es die Zahlung an der Kasse durch: scheinbar von Geisterhand, auf den Cent korrekt, mit unserer EC-Karte. Wir wissen nicht, wie unser Smart-TV funktioniert: Wir wissen nicht, wie die gestreamten Videos in die Cloud und von dort in unser Wohnzimmer gelangen. Selbst gut gebildete Menschen erahnen nur, wie sich unsere Autos nach erfolgtem Ladeprozess in Bewegung setzen. Ja, wir wissen nicht einmal, wie die Kaffeemaschine, der Wasserdruck, der Küchenlüfter ihren Dienst verrichten.
Doch was an Komplexität akzeptabel ist, verändert sich je nach Milieu, Generation und Alter. Wer vom frühesten Kindesalter mit dem Smartphone verwachsen ist, akzeptiert ganz andere Benutzeroberflächen und Eingaberoutinen als ein früher sozialisierter Zeitgenosse: Dieser freundet sich mit den Schokoladentafelgroßen Telefonen womöglich nur deshalb an, weil er nun unbedingt einen Messenger Service braucht, um mit seinen Enkeln in Kontakt zu bleiben und die Urlaubsfotos seiner Kinder in der Familiengruppe betrachten zu können.
User Experience & Einfachheit
Doch durch diese Hülle, hinter der die unfassbare Komplexität verschwindet, sollen Hebel, Tasten, Drähte gehen: sie sollen verständlich sein, sondern auch gefallen. Die Maschine soll nicht nur das tun, was wir möchten, sondern auch Freude bereiten. Die Interfaces sollen Lust auf die Nutzung der Geräte wecken. Sie sollen hübsch sein, haptisch überzeugen, mit einer User Experience aufwarten, die das Bedienen zum Erlebnis macht.
Für Techniker ist es oft schwierig, sich in die Lage derer zu versetzen, die das Gerät bedienen. Sie wollen gern jene Nutzer, die die Maschine mit einem weiten Verständnishorizont bedienen, die mitdenken, die ästhetische Kategorien nicht über funktionelle setzen. Doch was vor und hinter dem Armaturenbrett passierte, waren stets zwei paar Schuhe. Ein Interface ist eben auch eine Schnittstelle verschiedener Disziplinen: Techniker hier, Experten für die Zielgruppe dort.
Je älter wir werden, desto mehr verändern sich unsere Sinne: vor allem das Sehen wird unschärfer, das Hören schwieriger, die Auffassungsgabe sinkt, Informationen verarbeiten und Muster erkennen geschieht langsamer. Die Reaktionsgeschwindigkeit sinkt. Körperkraft erfordernde Interfaces sind ein eindrückliches Hindernis. Zugleich ist jeder Angehöriger einer Generationen, die jede für sich einzigartig geprägt ist, die typische Erwartungen hat: Menschen, die vor 1950 geboren wurden, deuten Smartphones mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als Statussymbol; ihnen fällt es darum leichter, ein Seniorenhandy zu nutzen. Dagegen können sich später Geborene viel weniger damit anfreunden, auf neueste Smartphones von kraftvollen Brands zu verzichten.
Soziale Akzeptanz & individuelle Anpassungsfähigkeit
Technik erfüllt immer auch eine soziale Funktion, und diese wird wesentlich durch Designs und damit auch durch Schnittstellen erzeugt. Wer bestimmte Dinge nicht mehr hat, nicht mehr bedient, und sich nicht mehr ihrer bedienen kann, gehört womöglich nicht (mehr) dazu. Die soziale Mechanik des Schulhofes, sie gilt - salopp formuliert - auch in der Seniorengruppe.
Interfaces sollten also für jedermann gleichermaßen verständlich sein, indem sie zum Beispiel eine sequenzielle Nutzerführung haben, es mit Auswahlmöglichkeiten nicht übertreiben, wenig Systembrüche aufweisen. Alternativ müssen sie in ihrer UX an die Nutzergruppe angepasst werden. Folglich können Entwickler nicht das eine Interface konstruieren, sondern es braucht eine Bandbreite an Lösungen. Was bei der Kaffeemaschine verschiedene Gehäuseformen, Farben, Schaltknöpfe und Haptiken sind, die wie verschiedene Gewänder über ein und dieselbe Technik gestülpt werden, das sind bei digitalen Interfaces verschiedene Antlitze einer Software, diverse Komplexitätsgrade, unterschiedliche Benutzerführungen, Skins, Effekte, Kontraste und Farbgestaltungen sowie Schriftgrößen. Idealerweise passt sich das Interface dem Nutzer aktiv an, und zwar am besten automatisch, auf Basis des Nutzerverhaltens. Die Technik an sich sollte gar nicht für eine spezielle Zielgruppe gedacht sein, sondern die mit dem Produkt verbundenen Markenwerte und Nutzenversprechen sollten für alle User gelten. Nur das personalisierte Interface darf die Eigenheiten des Nutzers verraten: am Smartphone, im Auto, an der Waschmaschine.
Wie lassen sich Schnittstellen entwickeln, die für die zweite Lebenshälfte passfähig sind?
Entwickler, Business Developer und Marketers brauchen agile Verfahren, sie müssen intensiv mit der Zielgruppe kommunizieren. In Living Labs können sie verschiedene Segmente der Best Ager (verschiedene Altersgruppen, verschiedene Milieus) mit unterschiedlichen Interface-Entwürfen zusammenbringen. So bekommen Entwickler direktes Feedback, das hilft, Sackgassen zu identifizieren und Lösungen zu finden, die nicht nur funktionieren, sondern auch von der Zielgruppe akzeptiert werden.
Wir bei Q-Hub designen spezielle Learning Journeys für jene, die in ihrer Interface-Entwicklung bessere Wege beschreiten wollen, Inspiration benötigen, neue Fragen stellen. Wir gelangen dabei bis hin zum Minimal Viable Product gelangen, mit dem Zielgruppen-Tests durchgeführt werden können.
Ob Exoskelette, Montageroboter, SmartHome Facilities, digitale, KI-gesteuerte Personal Assistants oder Chatbots, ob Betriebs- oder Navigationssysteme, Computerspiele, Video-Konferenzsysteme oder Schulungssoftware, ob E-Bikes, CarSharing oder Onboarding- und Installations-Routinen - die Technik von morgen muss sich an eine älter werdende Gesellschaft anpassen. In ihr haben die Silver Ager das Sagen. Wer sich auf sie nicht einstellt, entwickelt seine Produkte am Markt vorbei.
Interfaces sind ein Schwerpunkt der 4. AgeTech-Konferenz
Auf der 4. AgeTech-Konferenz am 22. September in Chemnitz tauschen wir uns auch zu Interfaces aus. Neben New Work, Health & Care, eGovernment & Public Affairs sowie Marken & Marketing sind Interfaces einen Schwerpunkt auf der Konferenz. Es gilt wie auch in den vergangenen Konferenzen: Zuhören – Gestalten – Umsetzen – in bewährten Formaten: Speaker, Start Ups, Corporates präsentieren Lösungen, geben Impulse. Zudem können Entwickler vor Ort mit Living Labs ihre Interfaces der Zielgruppe präsentieren.